Das Urteil betrifft im Kern die Auslegung und die Gültigkeit der Art. 2 und 3 sowie der Anhänge I A und I B der Richtlinie 2001/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. März 2001 über die absichtliche Freisetzung genetisch veränderter Organismen in die Umwelt. Dieses Urteil betrifft hauptsächlich die Freisetzung gentechnisch veränderte Pflanzen, hat aber auch Bedeutung für den sogenannten „contained use“, also den Umgang mit gentechnisch veränderten Organismen (GVO) in gentechnischen Anlagen. Im Urteil werden alle auf künstliche Weise mit gentechnischen Methoden veränderten Pflanzen als gentechnisch veränderte Organismen klassifiziert. Darunter fallen auch die durch klassische Methoden der chemischen Mutagenese und der Bestrahlung erzeugten Pflanzensorten. Da diese Methoden nach Meinung des Gerichtes aber schon lange sicher angewandt werden, unterliegen die so hergestellten Pflanzen nicht der Richtlinie 2001/18/EG. Sinnvoll wäre dieses Urteil nur, wenn künstlich eingeführte Mutationen, so zum Beispiel mit den neuen molekularen Techniken, von natürlichen Mutationen, die in jeder neuen Pflanzengeneration in großer Zahl auftreten, unterschieden werden könnten. Entgegen mancher unwissenschaftlichen Behauptung ist das aber nicht möglich, wenn keine Fremd-DNA ausreichender Größe dauerhaft in das Genom integriert wird oder der Ort der Veränderung genau bekannt ist. Das gilt im Prinzip für jeden Organismus. Wenn die Änderung nicht bekannt ist, besteht dann in der Regel keine Möglichkeit, diese Mutationen als ein Resultat gentechnischer Eingriffe eindeutig einzuordnen. Deshalb ist der einzige vernünftige Weg, alle durch die neuen Techniken erzeugten Organismen vom Regulierungsrahmen der Gentechnikgesetzgebung aus zunehmen. Außerhalb von Europa ist man da schon oft viel weiter. Dort sind Organismen, die mit den neuen molekularen Techniken erzeugt wurden, keine GVO. Mit dem EuGH-Urteil ist kein rechtskonformer Zustand aufrecht zu halten. Es wird zu einer Verbreitung von gentechnisch veränderten Pflanzen kommen, die als solche nicht identifizierbar sind. Der EuGH nennt langjährig sicher angewandte Methoden, die vom Gesetz ausgenommen sind. Das sind teilweise Methoden, bei denen in großem Umfang Umbauten der DNA und eine große Anzahl von Mutationen eingefügt wurden. Diese Holzhammermethoden sind ausgenommen, aber der gezielte Austausch eines einzigen Basenpaares soll eine höhere Gefährdung darstellen? Abschließend kann gesagt werden, dass das EuGH-Urteil aus wissenschaftlicher Sicht und aus Sicht des gesunden Menschenverstandes ein Fehlurteil darstellt.
Weitere Stellungnahmen zum EuGH-Urteil:
Kommentar der ZKBS zur Identifizierbarkeit von Genomeditierungen in Pflanzen
Positionspapier europäischer Forschungseinrichtungen
European Plant Science Organisation (EPSO)
Stellungnahme der Group of Chief Scientific Advisors (part of Scientific Advice Mechanism -SAM)
Bioökonomierat der Bundesrepublik
Exzellenzcluster für Pflanzenwissenschaften (CEPLAS)
Max-Planck-Institut für Pflanzenzüchtungsforschung